Auszug ab Seite 85:

Die Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg und die einstige Residenz Neustrelitz

Zu Reuters Zeiten galt Neubrandenburg als „Rothenburg des Nordens". Leider aber brannte die Innenstadt 1945 fast vollständig nieder. Was blieb, ist die gesamte Stadtbefestigung mit vier Doppeltoren, Zingel, Fangelturm und Wiekhäusern. Verglichen mit den massiven Bauten wie z. B. dem Dammtorturm in Barth oder dem Anklamer Torturm in Friedland, beides abwehrende Bollwerke, wirken die Neubrandenburger Stadttore in ihrem Schmuckreichtum geradezu verspielt, als wären sie mehr zur Zier als zur Wehr da, wie Ricarda Huch einmal treffend bemerkte. Mit einer Länge von etwa 2,3 Kilometern gilt dieses Wall-Graben-System heute als einzigartig in Deutschland.
Durch den Stiftungsbrief des Markgrafen von Brandenburg vom 4. Januar 1248 ist die Stadtgründung urkundlich belegt. Den Bürgern, die aus der Altmark kamen, war bei fünfjährigem Steuererlaß auferlegt, eine Stadtbefestigung mit Wall, Graben und Plankenzaun zu errichten. Die Palisaden werden noch bis 1261 erwähnt, gegen Ende des 13. Jahrhunderts dürfte mit dem Feldsteinmauerwerk begonnen worden sein, das 1,40 Meter dick und etwa 7,50 Meter hoch ist. Auf einen Wehrgang konnte verzichtet werden, da alle 30 Meter ein Wiekhaus stand. Von den dreiundfünfzig Häuschen in der Mauer blieben über die Hälfte erhalten. Ursprünglich waren es zur Stadtseite hin offene Schalentürme mit oder ohne einen Dachabschluß. Im gesamten Untergeschoß lagerte das Kriegsgerät. Schießscharten im Mittelgeschoß ermöglichten Bogen- und Armbrustschützen die Verteidigung, wobei sie über Laufbohlen den Schützen im Nachbarturm zu Hilfe eilen konnten. Das Kommando hatten die Zünfte mit jeweils einem Wiekhaushauptmann. Für die Stadttore waren die Zünfte der Schuster, Bäcker, Tuchmacher und der Schmiede verantwortlich, wobei sie jeweils einem der vier Bürgermeister unterstanden.
So manche Bewährungsprobe hatte die Anlage zu bestehen. Schon 1315 belagerte der brandenburgische Markgraf Waldemar die Stadt, die von Herzog Heinrich II. erfolgreich verteidigt wurde. Auch Raubritterheere wurden abgewehrt. Die Tortürme erhielten ihre Schmuckelemente durchweg im 15. Jahrhundert, waren aber gleichwohl als Bollwerke wirksam. Selten läßt sich das Prinzip so unverändert studieren wie in Neubrandenburg: stadtwärts in die Mauer eingefügt, steht jeweils ein Torturm mit Stadt- und Feldseitengiebel, während das Vortor als querrechteckiger niedrigerer Bau auf der Linie des äußeren Walls liegt und durch Zwingermauern mit dem inneren Torturm verbunden ist.
Am ältesten - nämlich vom Anfang des 14. Jahrhunderts - ist die Feldseite des Friedländer Torturmes. Der Staffelgiebel hat noch einfache Blenden, während die reich profilierten Pfeilergiebel der Stadtseite vermutlich in der Mitte des 15. Jahrhunderts aufgesetzt wurden. Am Stargarder Torturm fällt auf, daß kein Sockelgeschoß abgesetzt ist, sondern daß die schmalen Vertikalblenden tief ansetzen und auf den Torbogen mit den Fallgittern bezogen sind. Ungeklärt ist die Symbolik der 9 „Jungfrauen" in der Höhe des Ansatzes zum Treppengiebel auf der Stadtseite. Knapp ein halbes Jahrhundert später - um 1400 - entstand der Treptower Torturm, in dem seit 1872 das Regionalmuseum untergebracht ist. Bei rückversetztem breiteren Mittelteil erinnert hier die Blenden- und Maßwerkgestaltung in besonderem Maße an Kirchengiebel.
Die Feldseite des Neuen Tores in Neubrandenburg