Mit Dampf auf den Schienen: die Eisenbahn
Das 19. Jahrhundert erlebte einen beeindruckenden Siegeszug der Eisenbahn. Schon 1833 veröffentlichte der Eisenbahnvisionär Friedrich List den Plan eines deutschen Eisenbahnnetzes, wobei er jedoch weder Mecklenburg-Schwerin noch Mecklenburg-Strelitz einbezog. Mag sein, dass die Bürger der Stadt Wismar hierüber verärgert waren, jedenfalls warb Bürgermeister Anton Haupt nur zwei Jahre später für die dampfbetriebene Bahn und überzeugte den Wismarer Rat von den Vorteilen dieses neuen Transportsystems. Zwei Jahre bevor die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth dampfte, planten die Hanseaten eine schnelle Verbindung zwischen Wismar und Boizenburg mit weiteren Anschlüssen nach Hannover und Hamburg. Umsetzbar war das Uorhaben jedoch nicht, da sich Hamburg, Lübeck, Preußen, Lauenburg und Mecklenburg-Schwerin mit ganz unterschiedlichen Interessen und Plänen gegenüberstanden und ain Ende sich der Stärkere, nämlich Preußen mit der Strecke Berlin-Hamburg, durchsetzte und einen Umweg über Schwerin beziehungsweise Hannover verhinderte. Die nach langem Hin und Her und einer Reihe von Staatsverträgen am 15. Dezember 1846 eröffnete Eisenbahnverbindung streifte das Mecklenburger Territorium nur. Wenig später konnte allerdings die Strecke Hagenow-Schwerin nach nur siebzehn Monaten Bauzeit in Betrieb genommen werden. Bereits am 23. März 1847 wurde gefeiert, als die Lok »Wismar« der Berliner Firma Borsig unter
dem Jubel zahlreicher Mecklenburger in Schwerin einfuhr. Die Zeitzeugen erlebten einen historischen Moment, war doch ihr Land ein Stück mobiler geworden. Mit der Eisenbahn begegnete den Bürgern erstmals eine Form erhöhter Beschleunigung und intensiverer Bewegung.
Die Bedienung oder Nutzung der neuen Transportmittel ging nicht unbedingt mit einem aufgeklärteren oder gar modernen Denken einher. Im Gegenteil, insbesondere die Lokomotivführer sollen noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts recht abergläubisch gewesen sein, wie die folgende kleine Episode zeigt. Der damalige »Nachwuchs-Lokführer« Peter Falow erzählte: »In meiner Zeit als Lokführeranwärter fuhr ich auf einer Rangier-Dampflokomotive. Zu Dampflokzeiten war es in den Bahnbetriebswerken noch nicht so sauber wie heute. Einmal fiel mir auf, dass sowohl auf dem Personen- als auch auf dem Güterbahnhof des Bahnbetriebswerkes Schwerin überall abgenutzte Reisigbesen herumlagen. Diese Besen wurden von den Lokführern benutzt, um nach jedem Schaufeln den Führerstand aufzufegen. Es war geradezu ehrenrührig, Kohlen, die während des Heizens heruntergefallen waren, liegen zu lassen, sodass dauernd gefegt wurde und der Verbrauch an Reisigbesen recht hoch war. Als ich nun selbst einen Besen abgenutzt hatte, einen neuen aufstielte und gerade im Begriff war, den alten in die Feuerkiste zu werfen, beschwor mich mein Meister, dies ja nicht zu tun, denn dann könnten wir ja gleich absteigen. Es würde Schlimmstes passieren. Ich gehorchte also. Später beobachtete ich, dass Meister Wilhelm nicht nur die abgenutzten Reisigbesen vor dem Feuer bewahrte, sondern beim Zusammenfegen abgebrochenen Reiser sorgfältig aufhob, um ihn aus dem Fenster zu werfen. Wir Jungen, die wir uns zunächst darüber lustig machten, befolgten diese Bräuche später sorgfältigst.«
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