Auszug Seite 69/70:

Die Nebelkollision

In der letzten Nacht auf See lief die VÖLKERFREUNDSCHAFT südwärts durch den Großen Belt auf dem Weg 28, der in die Seekarte wie alle Zwangswege eingedruckt war. Wie so oft im Herbst herrschte an diesem Tag diesiges Wetter und man hatte nur eine mäßige Sicht. Kurz vor Mitternacht wurde es nebelig. Im Havariebericht Kapitän Thiemanns heißt es nun: "Am 8.11.1965 erreichten wir abends den Großen Belt. Die Sichtweite betrug 1,5 bis 2,5 Seemeilen. Die Fahrtstufe war voll voraus. Das Schiff machte 19,5 Knoten. Beide Maschinentelegrafen waren auf Achtung beordert und der Manöverstand der Maschinen besetzt. Der Kapitän befand sich während der gesamten Belt-Passage auf der Brücke und hatte die Schiffsführung übernommen. Das Radargerät war ständig besetzt und Standorte wurden laufend durch Decca-Positionen ermittelt. Ab null Uhr waren auf der Brücke der IL Offizier Karg, welcher das Ra­ dargerät besetzt hatte, und der IV. Offizier Demlow, der die Navigation im Kartenraum mittels Decca betrieb. Zusätzlich befand sich der IL Offizier Zerfaß auf der Brücke, um bei der Passage der Enge von Korsör den querkommenden Fährverkehr zu kontrollieren. Am Ruder befand sich der Matrose Heidenreich. Ausguck auf der Back hatte Matrose Rohm und in der Backbordbrückennock Matrose Scherff. Schon vor Erreichen der Tonne 14 wurde am Radargerät der querlaufende Fährverkehr geplottet. Im Radar waren zwei Fähren an Steuerbord von Nyborg kommend und eine Fähre von Backbord von Korsör kommend festgestellt worden. Es wurde ermittelt, dass bei Beibehalten von voll voraus die von Steuerbord kommende erste Fähre vor uns Tonne 13 passieren würde und wir mit genügendem Abstand von der zweiten Fähre passieren könnten. Die von Backbord kommende Fähre würde gut frei von uns den Zwangsweg passieren. Um 23.59 Uhr passierten wir die Tonne 14 an Backbord querab und änderten Kurs auf 184 Grad. Danach wurde das Radargerät auf den Sechs-Seemeilen-Bereich umgeschaltet. Auf dem Zwangsweg in südlicher Richtung waren in diesem Bereich keine weiteren Fahrzeuge zu sehen. Das Feuerschiff Halskov-Rev war optisch bei 1,7 Seemeilen in Sicht gekommen. Nach Kursänderung wurde unmittelbar in Nähe des Feuerschiffes ein schwach reflektierendes Echo festgestellt, das sich bei weiterer Beobachtung als ein Mitläufer herausstellte. Um 0.05 Uhr wurde Halskov-Rev Feuerschiff an Backbordseite mit zwei Kabellängen passiert. Kurz vor Passage des Feuerschiffes kam Steuerbord voraus ein schwaches weißes Licht in Sicht. Da die Peilung bis zur ersten Fähre sich nur langsam änderte, wurde etwas später der Kurs auf 190 Grad und gleich darauf auf 195 Grad geändert. Da sich der Abstand zum Mitläuferschiff schnell verrin­ gerte und die Peilung stand, wurde, um klar zu passieren, hart Steuerbord Ruder gegeben. Während dieser Zeit nahm die Sicht schnell ab. An der Backbordseite befanden sich mehrere, nicht näher bestimmte Reflexe, die in Ausweichen nach Backbord nicht zuließen. Um 0.09 Uhr wurden die Maschinen gestoppt, kurz darauf auf voll zurück beordert. Die Maßnahme hatte keinen Erfolg und es kam zur Kollision. Dabei erfasste unser Vorsteven das Achterschiff des Mitläufers, welcher dabei herumklappte und an unserer Bordwand langscheerte. Als das Schiff längsseits trieb, wurde festgestellt, dass es beschädigt war. Um weitere Beschädigungen durch die laufenden Schrauben zu vermeiden, wurde die Backbordmaschine auf Stopp beordert und, nachdem der Kollisonsgegner das Heck passiert hatte, auf langsam voraus, um den Steuerborddreh beizubehalten. Das Schiff wurde weiter nach Steuerbord gedreht, um Kontakt mit dem Kollisionsgegner aufzunehmen. Gleichzeitig wurde Mann-über-Bord-Alarm ausgelöst und die Boote 9 und 10 ausgeschwungen. Es wurde verstärkt Ausguck vom Schiffgehalten und mit Scheinwerfern das Wasser abgesucht. Unmittelbar nach der Kollision kam eine dichte Nebelbank herangezogen, die uns den Kolli­ sionsgegner, das MS BURGUNDIA, außer Sicht brachte."

Im Weiteren werden nun alle Folgemaßnahmen geschildert. Danach heißt es weiter:

"Da das Motorschiff INA LEHMANN mit der BURGUNDIA in Richtung Korsör Fahrt aufgenommen hatte und bereits kurz vor der Einfahrt von Korsör stand, wurde die Reise um 2.43 Uhr nach Rostock fortgesetzt. Auf dem weiteren Wege nach Rostock musste das Schiff noch mehrfach alle Maßnahmen für Nebelfahrt treffen, bis es am nächsten Morgen um 10.30 Uhr auf der Warnemünder Reede vor Anker ging. Um 18.49 Uhr kam der Lotse an Bord und um 20.30 Uhr war das Schiff am Passagierkai fest."

Kapitän Thiemann hatte nun eine ausgefüllte Hafenzeit. Statt sich in den wenigen freien Tagen erholen zu können, galt es nun, den Havariebericht auszuarbeiten, die entsprechenden Anlagen, wie Auszug aus dem Maschinentagebuch, Auszug aus dem Funktagebuch und die schriftlichen Zeugenaussagen, zu erarbeiten bzw. anfertigen zu lassen und sie der Seekammer der DDR und dem Schiffssicherheitsaktiv der Deutschen Seereederei zur weiteren Bearbeitung zuzuleiten. Außerdem musste er sein Augenmerk darauf legen, das Schiff für die bevorstehende nächste Reise ordnungsgemäß auszurüsten und sich selbst und die verantwortlichen Bereichsleiter auf eine neue Aufgabe einzustimmen, für die es bisher keinerlei Erfahrungen gab.